Veranstaltungskalender

Lebenshilfe Frankfurt - Termine

Podiumsdiskussion - Selbstvertretung stärken!

Ort: via Livestream

Zuhören, Mut machen und Beteiligen

Nicht alle Interessierten konnten an der Veranstaltung teilnehmen. Wir haben sie daher aufgezeichnet und den Film hier bereitgestellt:

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Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal bei allen Beteiligten auf dem Podium und im Publikum für ihre Teilnahme und ihr Engagement vor Ort und im Stream ganz herzlich bedanken.

Fotos: Anina Engelhardt

Teilhabe und Teilgabe von Menschen mit Beeinträchtigung für eine inklusive Gesellschaft

Mit dem politischen Frühstück am 16. September 2021 feierte die Lebenshilfe Frankfurt ihr 60jähriges Jubiläum. „Selbstvertretung stärken!“ war das Thema der Podiumsdiskussion.

Die Lebenshilfe hatte in ein großes Festzelt auf der weitläufigen Wiese von Gut Hausen eingeladen. Aufgrund von Corona konnte nur eine begrenzte Zahl von Gästen vor Ort teilnehmen. Für alle anderen gab es die Möglichkeit via Livestream zu folgen. Mit „Achtung-schwere-Sprache“-Schildern auf den Tischen konnten die Gäste anzeigen, wenn mehr auf Leichte Sprache geachtet werden sollte.

Volker Liedtke-Bösl, Vorstand der Lebenshilfe Frankfurt, eröffnete das politische Frühstück mit der Begrüßung. Er stellte die Ziele der Veranstaltung vor. „Beim politischen Frühstück soll nicht über Menschen mit Behinderung gesprochen, sondern ihre Expertise soll eingebunden werden“, so Volker Liedtke-Bösl. „Das bedeutet Zuhören, Mut machen und Beteiligung. Es erfordert ein aktives Zugehen und Einladen und nicht auf Forderungen zu warten.“ Ein zentraler Baustein sei die Möglichkeit selbständig zu wohnen. „Eine Herausforderung in einer Stadt wie Frankfurt!“

Auf dem Podium: Die Perspektive von Menschen mit Beeinträchtigung
Für das Podium waren sieben Gäste eingeladen, die ihre Perspektiven und Erfahrungen mit Selbstvertretung und Teilhabe einbrachten. Die Gäste berichteten von ihren Erfahrungen mit Selbstvertretung aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Politik, Beruf, ehrenamtlichem Engagement und kulturellem Leben.

Michael Brühl aus Marburg erzählte von seinem Weg in die Politik. Er gab einen Einblick in seine vielseitigen Aufgaben in der Marburger Stadtpolitik für die SPD. Als Stadtverordneter habe er in den Ausschüssen für Finanzen und für Inklusion gearbeitet: „Dabei gebe ich Input für Gesetzesinitiativen und politische Vorhaben.“

In Stuttgart arbeitet Henrike Bergmeier als Evaluatorin und Begleiterin. Sie stärkt die Sichtbarkeit und Perspektive von Menschen mit Behinderung auch in Forschungsprojekten. „Als Evaluatorin für inklusive Projekte geht es nicht nur darum, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung wahrzunehmen. Ich kläre über Möglichkeiten der Einbindung und aktiven Beteiligung auf.“ Sie betonte, wie wichtig die eigene Mobilität für diese Aufgaben sei.

Samuel Wunsch arbeitet am Institut für Inklusive Bildung an der Universität Kiel. Dort werden pädagogische Fachkräfte und Menschen mit Behinderung ausgebildet. Die anerkannte Ausbildung zur „Bildungsfachkraft für Menschen mit Behinderung“ versteht Bildung als Schlüssel zu Teilhabe und Verwirklichungsmöglichkeiten.

Im Stellvertreter-Rat der Lebenshilfe Frankfurt bringt sich Björn Schneider ein. „Ich fordere Sachen, die Menschen mit Behinderung brauchen.“ Es geht für ihn darum, Menschen mit Behinderung nicht als bedürftig zu sehen. Im Gegenteil: sie bieten beruflich oder im Ehrenamt Unterstützung und Hilfe an. Als Beispiel verwies Björn Schneider auf die Ausstellung des Stadtlabors „Frankfurt und der NS“ die ab Dezember 2021 im Historischen Museum gezeigt wird. Als Stadtlaborant hat er die Geschichte von Menschen mit Behinderung am Beispiel von Ingrid Heuser zugänglich und sichtbar gemacht.

Neben politischem Engagement, Beruf und Bildung bildete der Bereich Kultur und Teilhabe einen weiteren Schwerpunkt. Der Berliner Rapper Graf Fidi sprach nicht nur als Musiker. Er ist Teil eines Projektes der Agentur für Arbeit, das Lernmaterial in leichter Sprache entwickelt. „Für mich ist der Rap eine Art Übung, laut zu sprechen“, so beschreibt Graf Fidi, wie er seiner Stimme Gehör verleiht. Die grundlegende Idee, jemandem etwas zuzutrauen, sei wichtig. Einfach zu sagen: „Mach mal!“

Wie auch Henrike Bergmeier brachte Bettina Bretländer einen wissenschaftlichen Blick auf Selbstvertretung ein. Als Professorin an der University of Applied Sciences in Frankfurt ist sie Leiterin des Studiengangs „Inklusion“. Sie stellte ein Projekt aus Nordrhein-Westfalen vor. Menschen mit Behinderung wurden dabei als Dozent*innen für Universitäten ausgebildet. So ein Projekt wünscht sie sich auch für Hessen. „Menschen mit Behinderung haben viele Ideen, das zeigt sich deutlich in meiner Forschung. Sie sollten als Expert*innen beteiligt werden.“

Sozialdezernentin dankt der Lebenshilfe Frankfurt für die gute Zusammenarbeit
Die Frankfurter Sozialdezernentin Elke Voitl hob in ihrem Grußwort die langjährige fruchtbare Zusammenarbeit der Stadt mit der Lebenshilfe als breit aufgestelltem Träger hervor. „Die Lebenshilfe bietet ein breites Angebot von Frühbetreuung bis hin zu Wohnangeboten. Sie ist für die Stadt eine wichtige Partnerin und wertvolle Ratgeberin.“ Sie nannte das Tischparlament als gutes Beispiel für das Leitbild „Nicht über uns und ohne uns“ für die weitere Umsetzung der Menschenrechte. Inklusion ist für sie und ihre Arbeit ein Stützpfeiler der Demokratie, sie freue sich auf die weitere Zusammenarbeit.

Ausblick: Neue Wege für mehr Inklusion
Abschließend gaben die Gäste der Podiumsdiskussion einen Ausblick auf Möglichkeiten und Hürden für eine stärkere Selbstvertretung in vielen Bereichen ihres Lebens. Die Redner*innen erzählten nicht nur eindrücklich von ihren beruflichen Erfahrungen, alle sind zusätzlich noch ehrenamtlich engagiert. Sie verstehen es als Auftrag und Aufgabe, für mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Alle Redner*innen schilderten, dass sie auf Offenheit, aber auch auf Wissensbedarf treffen. Es gebe wenige Vorbilder und es ist oft schwierig Informationen darüber zu finden, was alles möglich ist.

Es gebe zu wenig anerkannte Ausbildungsmöglichkeiten und Fortbildungen außerhalb von Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Stärkere Unterstützung und Offenheit für neue Wege ins Berufsleben sollen zu mehr Inklusion in der Arbeitswelt führen. Eine größere Auswahl beruflicher Qualifizierungen könnte die gesellschaftliche Teilhabe erweitern. Die sei für alle bereichernd. Mobilität war ein weiteres Thema und eine wichtige Voraussetzung, um teilnehmen zu können.

Für die Stärkung der Selbstvertretung sei auch eine weitere Öffnung von Institutionen und Parteien nötig. Irritationen und Unsicherheit seien zu Beginn Barrieren in Situationen im Zusammentreffen von Menschen mit und ohne Behinderung. Manchmal entsteht dabei ein Dilemma. Das Thema Behinderung wird unsichtbar oder ignoriert, wenn Probleme nicht direkt angesprochen werden. Teams auf Augenhöhe ermöglichen eine Normalität von Begegnungen, mit denen auch neue Formen des kooperativen Arbeitens entstehen und etabliert werden. In der Diskussion wurde deutlich, wie vielfältig und gewinnbringend Formen der Selbstvertretung sind. Alle waren sich in dem Wunsch einig, dass noch mehr Offenheit und einfachere Wege nötig sind, um sich einzubringen.

Der krönende Abschluss: Graf Fidi rappte auf der Open-Air-Bühne. Mitreißend.

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