sondenentwöhnt entgegen aller Widrigkeiten
Unser Kind wurde mit einer Gaumenspalte geboren, Muskelhypotonie war sichtbar, V.a. genetisches Syndrom. Es wurde mit Magensonde entlassen, da es nichts schluckte, nichts aus der Flasche trank.
An Stillen war nicht zu denken, da kein Mundschluss vorhanden war. Auch mit Gaumenplatte änderte sich nix. Also sondierten wir Muttermilch, die angereichert werden musste, da das Kind begann, sehr viel zu erbrechen. Physiotherapie und Logopädie sowie mehrmalige Intensivtherapie in Baiersbronn brachten etwas Bewegung im Mundbereich.
Die Gaumenspalte wurde chirurgisch verschlossen. Das Sondieren und Erbrechen setzten sich fort. Weitere Diagnostik brachte für‘s Erbrechen keine Erklärung. Massive Gedeihstörung, unklarer Ursache. Ein Gastrostoma wurde angelegt, wir entschieden uns aber gegen eine Fundoplikatio.
Das Sondieren und heftiges Erbrechen gingen weiter. Immer wieder fragten wir Ärzte nach der Sondenentwöhnung. Es wurde an eine für solche Fälle zuständige Klinik verwiesen. Diese lehnte mehrfach eine Sondenentwöhnung ab mit der Begründung, weil das Kind so viel erbricht.
Andererseits fragten uns immer wieder Leute, warum das Kind die Sonde noch hat? Ja, warum? Es gab dafür keine plausible medizinische Erklärung. Orofazial wurde das Kind immer aktiver, es aß aber nix wirklich, nun ja, es wurde ja auch die ganze Zeit sondiert.
Wir wandten uns dann an NoTube Graz, einem Zentrum für Sondenentwöhnung und Esstörungen. U.a. gibt‘s dort die Möglichkeit eines Online-Programms für betroffene Familien weltweit. Wir nahmen am Assessment teil, womit aufgrund der Faktenlage ermittelt wurde, dass das Programm für unser Kind geeignet war. Es kann sofort losgehen! Es war klar: das ist die einzige Chance!
Ärzte und Therapeuten hier waren sehr skeptisch mit vielen Argumenten gegen diesen Plan. Uns ließen die potenziellen Kosten zögern, an die 5000€. Dieses Programm ist in Deutschland nicht im Katalog der Krankenkassen, also nicht grundsätzlich zur Kostenübernahme anerkannt. In Einzelfallentscheidungen kann die jeweilige Krankenkasse aber einer Kostenübernahme zustimmen. Unsere Krankenkasse war so unterstützend, dass sie dem Ablehnungsbescheid einen Zettel beifügte, der die Fakten, die erfüllt sein müssen, damit die Kosten übernommen werden können, aufführte. Der Widerspruch zog sich in die Länge, wir bezahlten das Geld, es war unsere einzige Chance auf Veränderung! Letztendlich übernahm jedoch die Krankenkasse tatsächlich die Kosten.
Ein Team von Kinderärztin, Therapeutin, Psychologin unterstützte uns im Prozess des Essenlernens und der Reduktion der Sondierung. Keine Klink, einfach im normalen Alltag passierte das, zu Hause, in der Kita. Tägliches Wiegen, tägliche Ernährungsprotokolle, Videos hochladen, Chat mit dem Team. Sie fingen den Stress auf, den wir hatten, wenn das Kind wieder „nur“ einen Löffel aß und auch unsere Sorgen hinsichtlich des dann noch niedrigeren Gewichtes. Die Ärzte und Therapeuten versorgten uns auch mit hilfreichen Argumenten und Fakten gegenüber Kinderarzt & Co.
Das Ganze hatte Hand und Fuß! Eigentlich fangen viele Kinder innerhalb von wenigen Monaten an, zu essen, das Programm geht maximal ein halbes Jahr. Aber auch nach dieser Zeit war unser Kind noch nicht so weit. Es aß, ja, aber es reichte nicht, um das Gewicht damit stabil zu halten. NoTube Graz unterstützte uns weiter. Nach fast einem Jahr war es dann soweit: das Kind aß so viel, dass das Körpergewicht stabil blieb. Es nahm noch nicht zu aber das Gewicht blieb. Ohne Sondierung. Das Kind war sondenentwöhnt! Es war 6 Jahre alt.
Das Erbrechen hatte mit Beginn der Entwöhnung aufgehört. Dann ging’s allmählich aufwärts, das Gewicht nahm zu. Wir warteten noch, letztendlich wurde der Button gezogen als das Kind sechseinhalb Jahre alt war. Dieser Tag ist gefühlt wie ein zweiter Geburtstag. Im Assessment kam raus, dass unser Kind eigentlich mit spätestens 1 Jahr hätte sondenentwöhnt werden müssen, also dann als die medizinische Indikation, die zur Sondenlegung führte, wegfiel. Dem Kind wäre so das häufige Erbrechen, tags und nachts, und das dauernde Festgebundensein zur Sondierung auf dem Therapiestuhl, erspart geblieben. Wir hätten uns schon viel früher an NoTube Graz wenden sollen. Rückwirkend betrachtet, hätten wir zumindest das Assessment schon viel früher machen sollen.
Es wurde wie es war. Gut.
Dieser Beitrag wurde erstellt von Loreena