Es ist Advent!

Es ist Advent. Advent ist ein Warten auf die Ankunft des Herrn in der Welt.

Ich warte auch. Ich warte. Ich warte immer und ständig. Ich warte, denn ich bin körperlich und geistig eingeschränkt. Ich warte, denn ich bin auf Hilfe angewiesen. Ich warte, denn ich brauche für alles Unterstützung von anderen Menschen. Ich warte. Oft bin ich geduldig. Sehr oft bin ich sehr geduldig. Aber manchmal bin ich müde oder nicht gut gelaunt, dann sollte es schneller gehen.

Ich warte. Ich muss warten. Ich halte das aus. Ich habe keine andere Wahl.

Selbst kann ich es nicht. Ich warte. Selbst-bestimmt, was heißt das schon...

Ich warte auf die Pflege, damit ich aus dem Bett komme und duschen kann. Ich warte darauf, dass mir jemand eine neue frische Windel gibt. Ich warte auf das Handtuch nach dem Duschen, denn sobald das Wasser ausgedreht wird, ist mir kalt. Ich warte, dass mich jemand von der Toilette runter holt. Sie lassen mir meine Privatsphäre, aber es wäre schön, wenn mich jemand hört, wenn ich fertig bin. Und ich habe schon geklingelt.

Ich warte auf die Tabletten. Die nehme ich mit Jogurt. Der Jogurt steht schon auf dem Tisch bereit, aber die Tabletten sind noch in der Dose. Ich kann die Dose nicht alleine öffnen. Ich weiß, dass es zwei sind am Morgen, aber noch hat sie mir keiner bereit gelegt. Ich warte auf das Zähneputzen. Denn das ist das letzte, was morgens passiert, bevor ich zur Werkstatt fahre. Aber alle räumen erst den Tisch ab, statt mir Zähne zu putzen. Ich wäre bereit.

Ich warte auf meine Jacke, denn ich will jetzt arbeiten. Ich habe meine Jacke an. Ich bin unterwegs im Treppenhaus. Ich warte auf den Bus, der mich zur Werkstatt bringt. Manchmal ist viel Verkehr und er kommt erst viel später. Ich warte, bis er mich endlich abholt. Ich warte auf die verschiedenen Mitarbeiter, die alle noch einsteigen. Ich warte darauf, dass mich auch jemand aussteigen läßt. Die anderen sind schon schnell rausgehüpft und in ihre Arbeitsgruppe verschwunden. Ich brauche erst den Rollstuhl. Der muss aus dem Bus gehoben werden. Und dann ich. Jetzt bin ich im Rolli. Ich warte auf den Aufzug, der mich nach oben in meine Arbeitsgruppe bringt. Ich warte darauf, umgesetzt zu werden, denn ich kann auf meinem Arbeitsstuhl besser sitzen und rolle nicht weg oder drehe nicht in eine andere Richtung. Ich warte auf mein Arbeitsmaterial. Ohne das kann ich doch nichts tun.

Manchmal gibt es stundenlang, tagelang, wochenlang keine Arbeit. Dann sitzen wir da. Und warten. Ich habe Arbeit, das freut mich. Wenn mir niemand hilft, meine Arbeit aus der Vorrichtung rauszuholen, dann räume ich meine getane Arbeit eben wieder aus und beginne von vorne. Ich warte auf den Gong, der die nächste Mahlzeit ankündigt. Ich warte auf mein Frühstück. Ich warte aufs Mittagessen. Ich freue mich, wenn ich meine Freunde in der Pause treffe. Ich warte auf das Pausenende - darauf warte ich aber nicht so ungeduldig. Ich warte darauf, meinen Kumpel zu treffen und dass er mit mir Aufzug fährt oder eine Runde auf dem Außengelände läuft. Ich warte wieder auf eine frische Windel und wieder auf die nächste Mahlzeit. Ich warte auf eine Beschäftigung am Nachmittag. Ich will schnell etwas anderes lustiges tun. Ich will nicht nur sitzen und keine Beschäftigung haben. Das strengt mich an. Ich will was spielen. Ich will was hören. Ich will mit anderen sprechen und ihnen Dinge erzählen. Ich warte, dass jemand mit mir spielt. Ich warte, dass jemand mit mir spricht. Ich warte, dass sich jemand um mich kümmert. Ich warte, dass mir jemand etwas zu tun anbietet. Von allein fallen mir immer nur die gleichen Sachen ein.

Ich warte, dass mich jemand einlädt, etwas zu tun. Dann kann ich mitmachen. Ich will teilhaben. Ich will dabei sein. Ich will auch was machen. Tisch decken zum Beispiel. Oder Auto fahren. Ich will einkaufen gehen oder Blumen gießen. Ich will die Waschmaschine ausräumen und die Wäsche aufhängen. Ich will Sahne schlagen und kochen für alle. Ich will Quatsch machen und die anderen ärgern oder necken. Ich will was verstecken und dann mit den anderen lachen, wenn es wieder gefunden wurde. Ich will wissen, was morgen passiert. Aber ich warte. Ich warte auf eine neue Windel und eine nächste Mahlzeit. Ich bin müde und erschöpft von meinem Tag. Manchmal bin ich müde vom nichts tun. Oder müde vom ewigen Rumsitzen, weil ich warte und nichts zu tun habe. Ich warte auf den Pflegedienst, dass er mich fertig macht. Ich warte auf den Pflegedienst, damit ich endlich ins Bett gehen kann. Ich warte auf die Pflege, damit ich eine neue Windel bekomme. Ich warte auf eine Gute-Nacht-Geschichte oder ein Gute-Nacht-Lied. Ich warte auf den Winter, denn ich möchte gerne Schnee essen.

Ich warte auf Mai, denn ich liebe Erdbeeren. Ich warte auf Freitag, denn dann sehe ich meinen Vater und wir gehen einkaufen. Ich warte auf meinen Geburtstag und Weihnachten, denn dann kriege ich Geschenke. Ich warte auf Mittwoch, denn dann holt mich mein Opi vom arbeiten ab. Ich warte auf Freitag, denn dann gibt es fast immer Fisch in der Werkstatt. Ich mag Fisch. Ich warte, dass meine Mutter mich mal wieder mit ins Büro nimmt. Da darf ich Papier sortieren. Ich warte auf den Abend, denn dann darf ich manchmal Fernseh gucken. Ich warte und warte. Ich warte fast mein ganzes Leben.

Heute warte ich darauf, dass mir jemand Streichhölzer bringt. Ich möchte den Adventskranz anzünden. Es ist Advent. Ich warte aufs Christkind.

Dieser Beitrag wurde erstellt von: Dada

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