Die Impfung
Fritz muss geimpft werden. Fritz hat panische Angst vor Spritzen. Wenn er nervt, sagen seine Geschwister: „Wenn du nicht aufhörst, gehen wir zum Impfen.“ Entsetzen breitet sich auf Fritz Gesicht aus. „Oder zur Ohrspülung“, legen sie nach. Panik. Fritz hatte als ganz Kleiner einen Abszess am Ohr, der ihn für einige Zeit in die Klinik brachte. In der Nachsorge musste in regelmäßigen Abständen das Ohr ambulant ausgespült werden. Ein traumatisches Erlebnis für den kleinen Fritz. Nun also geht es zur Impfung. Unser Kinderarzt und Freund der Familie kennt Fritz, Fritz kennt ihn. Doch Fritz weiß, worum es geht. Ich nehme seinen etwas älteren Bruder mit. Zur Absicherung. Wir reden auf Fritz ein: „Nur ein kleiner Pieks, das merkst du gar nicht. Nicht wie Blut abnehmen. Geht ganz schnell.“ Fritz schaut trotzdem wie auf dem Weg zur Schlachtbank.
Es ist so weit. Fritz legt sich auf die Liege. Es ist eine Spritze in den Po. Wir ziehen etwas die Hose herunter. Die Spritze wird aufgezogen, während alle krampfhaft versuchen, so locker wie möglich zu wirken und mit angestrengt ruhigen Stimmen Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Fritz zittert wie Espenlaub. Beim Anblick der Spritze aber brennen die Sicherungen durch. Er geht zur Flucht über. Wir fangen ihn wieder ein, legen ihn auf die Pritsche. Wir müssen ihn zu dritt fixieren – zwei erwachsene Männer, ein kräftiger Jugendlicher – mit aller Kraft. Fritz, er ist vielleicht zehn, entwickelt ungeahnte Kräfte. Schließlich gelingt es uns, ihn so ruhig zu stellen, dass die Spitze verabreicht werden kann. Ich komme mir vor wie im Film, wo ohne Betäubung die Kugel herausgeschnitten wird. Der Patient kriegt ein Holzscheit zwischen die Zähne, er darf eine Pulle Whiskey trinken, drei Mann halten ihn fest, der vierte entfernt das Projektil, während er schmerzverzerrt das Holzscheit zerbeißt. Schweißgebadet (Fritz ist klatschnass) verlassen wir das Behandlungszimmer und freuen uns, dass der nächste Impftermin erst in zehn Jahren ist.
Dieser Beitrag wurde erstellt von: R. Paulus